Recycling Plus – Das Cradle-to-Cradle-Prinzip

Obwohl wir recyclehero sind, ist uns bewusst, dass Recycling in der Abfallhierarchie nicht die höchste Priorität hat. Denn davor gilt es, zu vermeiden, dass Ressourcen überhaupt recycelt werden müssen, zum Beispiel indem sie umweltbewusst produziert sind und dadurch langfristig wiederverwendet werden können. Hier kommt das Cradle-to-Cradle-Prinzip ins Spiel. Was genau es damit auf sich hat und welche Marken Innovationstreiber sind, erfahrt ihr in diesem Beitrag.

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Wenn man Michael Braungart, wissenschaftlichen Leiter des Hamburger Umweltinstituts (HUI) fragt, ob Recycling das höchste der Gefühle ist, lautet die Antwort klar und deutlich: Nein. Sicher, Recycling stellt einen wichtigen Aspekt des Umweltschutzes dar – von einem innovativen Wirtschaftskonzept sind wir allerdings selbst als äußerst gewissenhafte Recycler*innen noch weit entfernt. Gemeinsam mit William McDonough hat Braungart deshalb um die Jahrtausendwende das Cradle-to-Cradle-Prinzip entwickelt, ein Kreislaufsystem, das Wirtschaftswachstum und Umweltschutz vereint. Anstatt klassisch linear zu denken (take – make – waste), schaffen sie die Idee eines geschlossenen Kreisläufe, in dem kein Müll entsteht.

 

Kein Müll? Eine große Forderung. Wie soll das funktionieren?

Verbrauchsgüter, die nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip produziert sind, sind immer kompostierbar und können der Erde als Ressource rückgeführt werden.

Wir sind mittlerweile so sehr an eine gewisse Konsumkultur gewöhnt, dass Müll in unserem Leben kaum mehr wegzudenken ist. Wir sind uns sogar der traurigen Wahrheit bewusst, dass zahlreiche Produkte absichtlich mit einer geringen Lebensdauer konzipiert sind, sodass wir schnell wieder neues konsumieren. Die Marktentwicklung ökologisch unbedenklicher Produkte und die Zero Waste-Bewegung machen aber deutlich, dass ein starkes Verlangen herrscht – ein Verlangen nach weniger. Längst ist bekannt, dass nicht nur Müll an sich extrem schädlich für unsere Umwelt ist, sondern auch bereits in den von uns genutzten Produkten viele Schadstoffe stecken, die unserer Gesundheit nicht besonders zuträglich sind. Dabei sollten Produkte eigentlich nur dann als qualitativ hochwertig gelten, wenn Mensch und Umwelt nicht zu Schaden kommen. 

Genau hier setzt Cradle to Cradle (C2C) an. Wörtlich übersetzt bedeutet es „von der Wiege in die Wiege“ – quasi als Alternative zur Mülldeponie. Eine Kombination aus cleverem, umweltbewussten Produktdesign, bewusster Nutzung und Verwertung ausgedienter Produkte frei von Schadstoffen soll einen mülllosen Kreislauf schaffen. Hierbei wird vom ersten Schritt der Produktionskette an auf Materialgesundheit, Kreislauffähigkeit, den Einsatz erneuerbarer Energien, verantwortungsbewussten Umgang mit Wasser sowie soziale Gerechtigkeit geachtet. Erst wenn jedes dieser Kriterien mit einem Haken versehen werden kann, darf sich ein Produkt C2C-zertifiziert nennen.

Tatsächlich ist dieses Prinzip längst keine Utopie mehr. Besonders unsere Nachbarländer Niederlande und Dänemark, aber auch der deutsche Markt, bieten mittlerweile C2C-Produkte an. So gibt es komplett biologisch abbaubare Kleidungsstücke, Kosmetik, Waschmittel und Klopapier. Diese Produktsparte versteht man im C2C-Universum als Verbrauchsgüter, da sie kompostierbar sind und als nachwachsende Pflanzen wieder in den Produktionskreislauf eingespeist werden. Hier wird deutlich, dass sich das Cradle-to-Cradle-Prinzip maßgeblich von Vorgängen der Natur inspirieren lässt.

Etwas anders sieht es im Bereich Electronics aus.  Hier sprechen wir von Gebrauchsgütern, bei denen keine Abnutzung stattfindet, sondern deren Rohstoffe nach einer Demontage als technischer Nährstoff weiter genutzt werden können. Hierfür müssten Hersteller lediglich ihre nicht mehr funktionstüchtigen Geräte zurücknehmen, um aus deren Einzelteilen neue zu bauen. Spinnen wir den Gedanken mal weiter: Wenn Unternehmen ihre Vertriebsstrategien ändern und Konsument*innen ihr Mindset anpassen würden, könnte ein Pfandsystem für Waschmaschinen, Toaster und Staubsauger entstehen, bei dem nicht das Produkt, sondern dessen Nutzung verkauft wird. Klingt vielversprechend!

"We cannot recycle our way out of overproduction"
– EMILY MACINTOSH (Senior Policy Officer for Textiles, European Environmental Bureau)

Bei recyclehero fragen wir uns konstant, wie wir nicht nur unseren negativen Impact minimieren, sondern vor allem auch den positiven Impact auf Mensch und Umwelt erhöhen können. Uns ist bewusst, dass wir uns aus Problemen wie Überproduktion nicht "heraus recyceln" können. Auch in der Abfallhierarchie ist Recycling erst der dritte Schritt, vor dem ausgeschlossen werden muss, ob Ressourcen nicht noch in ihrer ursprünglichen Form weitergenutzt werden können. Durch die Motivation, positiven Impact zu erhöhen, stellt das Cradle to Cradle-Prinzip für uns eine Quelle der Inspiration dar, die uns fragen lässt: Geht da noch mehr? Mit Muskelkraft auf dem Lastenrad als Superpower wird so aus Recycling erst Recycling Plus und dann hoffentlich eine müllfreie Welt.

 

Zertifizierung des Cradle-to-Cradle-Prinzip

Die Cradle-to-Cradle-Zertifizierung bietet Unternehmen eine Möglichkeit, ihre Erfolge und Fortschritte beim umweltbewussten Design ihrer Produkte glaubwürdig und nachvollziehbar nachzuweisen. Gleichzeitig unterstützt die Zertifizierung Kund*innen dabei, Produkte zu suchen und zu erwerben, die höchsten Qualitätsstandards entsprechen. Sie garantiert die Verwendung umweltfreundlicher, gesunder und wiederverwertbarer Materialien (z.B. durch technische Wiederverwertung oder Kompostierung). Der Cradle to Cradle Certified™ Produktstandard sieht vor, dass Produktmaterialien und Verarbeitungsprozesse in fünf Kategorien bewertet werden: 

  • Materialgesundheit der eingesetzten Inhaltsstoffe
  • Kreislauffähigkeit des Produktes im technischen oder biologischen Kreislauf
  • Nutzung von erneuerbaren Energien
  • Verantwortungsvolles Wassermanagement
  • Einhaltung sozialer Standards

 

Wer arbeitet nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip?

Hamburg

In Hamburg gibt es bereits einige “Leuchttürme”, die das Cradle-to-Cradle-Prinziop umsetzen.

runamics ist einer davon. Ziel des Sportartikelherstellers ist es, die erste vollständig C2C-zertifizierte Sportmarke der Welt zu werden. Gemäß dem Motto “Während ich konsumiere, bin ich gut für die Umwelt” agiert auch die Teemarke Samova nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip. Als erste Druckerei in Norddeutschland ist die Eurocaribe Druck und Verlag GmbH Cradle-to-Cradle-zertifiziert.

Die REGIONALGRUPPE HAMBURG der Cradle-to-Cradle-NGO zeigt in der Stadt viel Engagement und vernetzt Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Politik und Zivilgesellschaft.

 

Weitere Firmen und Produkte aus Hamburg, die C2C-Zertifikate haben

 

Köln

  • JUNG Schalter und KNX Technik (Elektrotechnik)
  • Lokay (Druckerei)
  • erlich textil (Unterwäsche)
  • Außerdem ist in Köln auch die C2C NGO aktiv und organisiert regelmäßig branchenübergreifende Events für Unternehmen, Organisationen und Privatpersonen und veröffentlicht Publikationen zur Weiterbildung.

Frankfurt

 

München

 

  • Wellicious ist ein Label für C2C-zertifizierte Yogabekleidung, die sich nach einiger Zeit und unter bestimmten Voraussetzungen in ihre organischen Ursprungsteile zersetzen, die dann zur Grundlage für neue Produkte verwendet werden.
  • Calida hat eine Auswahl C2C-zertifizierter Unterwäsche und Homewear.