Welche Auswirkungen haben unsere Textilexporte in Ghana?

Viele von uns haben sicherlich schon einmal Bilder von Textilmüllbergen im Globalen Süden in Ländern wie Ghana gesehen. Aber was haben unsere Textilien im Globalen Süden für konkrete Auswirkungen auf Menschen, Tiere und Umwelt? Wir konnten auf dem 202030 Berlin Fashion Summit mit Solomon Noi sprechen, dem Direktor der Abteilung für Abfallwirtschaft der Stadtverwaltung von Accra. Er gibt Einblicke in eine Stadt, deren Recyclinginfrastruktur schlichtweg nicht für die Millionen Kleidungsstücke ausgelegt ist, die wöchentlich aus dem Globalen Norden verschifft werden.

waste-colonialism

 

Ghana ist eines der Top-Importländer für gebrauchte Textilien aus der EU. In der Hauptstadt Accra kommen daher pro Woche 15 Millionen Kleidungsstücke an. Davon sind allerdings ungefähr 40% aufgrund mangelnder Qualität unbrauchbar und müssen entsorgt werden. Importeure sind oft nicht in der Lage, den Marktwert der bei ihnen eingehenden Waren zu überwachen, zu kontrollieren und darüber Bericht zu erstatten, daher basieren diese Angaben eher auf Schätzungen.

Tatsache ist aber, dass lokale Händler:innen die Kleidung in gepressten Ballen kaufen, die ungefähr 55 Kilogramm wiegen, und vor dem Kauf nicht einsehen können, wie die Beschaffenheit der Ware ist. Mittlerweile kommt es laut Angaben von zahlreichen Händler:innen immer öfter dazu, dass sie mangelhafte Ballen kaufen und dann selbst für die Entsorgung der beschädigten, zerlöcherten oder befleckten Kleider verantwortlich sind – und das in einem Land, in der es keine geeignete Recycling-Infrastruktur gibt und die Kleidung meist auf Mülldeponien landet, wo sie verrottet oder verbrannt wird.

Denn in Accra mangelt es schlichtweg an Platz, um diese eingehende Masse an Textilien auf Mülldeponien zu entsorgen, wodurch Kleidung oft verbrannt wird oder auch im Meer landet. Allein im Jahr 2020 wurden 1,4 Millionen Tonnen Alttextilien ohne EU-Marktwert in Drittländer wie Ghana und Kenia exportiert, was verheerende Auswirkungen auf Umwelt, Menschen, Tiere und die lokale Wirtschaft hat.

 

Um die Auswirkungen genauer verstehen zu können, haben wir im Rahmen des 202030 Berlin Fashion Summit mit Solomon Noi gesprochen, dem Direktor der Abteilung für Abfallwirtschaft in der Stadtverwaltung von Accra. Wir konnten ihm drei Fragen stellen

 

Wenn es eins gäbe, was Sie jeden/jede auf der Welt sehen, riechen, hören oder fühlen lassen könnten, um auf die Textilmüll-Krise in Accra aufmerksam zu machen, was wäre das?

Ein Aspekt, auf den ich Ihre Aufmerksamkeit lenken möchte, ist die Tatsache, dass Textilabfälle die Lebensgrundlage der Küstenbewohner zerstören. Sobald Textilien weggeworfen werden und unsere Stadt nicht in der Lage ist, sie ordnungsgemäß zu entsorgen, werden Textilstücke ins Meer gespült. Sie treiben und vermischen sich mit dem Sand. Wenn das passiert, verkalkt er und wird an der Küste sehr hart.

"Wenn nichts unternommen wird, werden unsere Kinder und Enkel Meeresschildkröten mit der Zeit nur noch aus Malbüchern kennen. Sie werden aussterben."

Es gibt eine bestimmte Art von Wasserlebewesen, die davon besonders betroffen ist: Meeresschildkröten. Um ihre Eier abzulegen, gehen sie nicht ins Wasser, sondern kommen an Land und suchen sich den Meeressand aus, um ihre Eier abzulegen, da die Temperatur des Sandes die Eier ausbrütet, damit sie schlüpfen können. Bei dem kalkhaltigen Sand, der mit Polyester, Kunststoffen, Wolle usw. vermischt ist, wird es aber sogar für Menschen schwierig zu graben. Normalerweise graben die Schildkröten gerade tief genug, um ihre Eier abzulegen. Ihr Instinkt sagt ihnen jedoch mittlerweile, dass sie, sobald sie das Graben nicht mehr schaffen, wieder ins Wasser zurückgehen und ihre Eier im Wasser ablegen. Wenn nichts unternommen wird, werden unsere Kinder und Enkel Meeresschildkröten mit der Zeit nur noch aus Malbüchern kennen. Sie werden aussterben.

Die enormen Abfallmengen, die in die Küstengewässer gelangen, treiben Fische in immer weitere Ferne. Unsere einheimischen Fischer benutzen kleine Boote, die von einem Außenbordmotor angetrieben werden, der ungefähr sieben Liter Kraftstoff fassen kann. Da die Fische immer weiter weg sind, können die Fischer nicht so weit fahren, wie die Fische gegangen sind. Man sieht also große chinesische Trawler, die unsere Fische fangen, und mit der Zeit werfen sie ihre Netze aus und fangen nur noch Plastik und Textilabfälle. Das ist es, was mich am meisten belastet, und ich wünschte, wir würden eine Lösung für den Textilabfall finden, um zu verhindern, dass das Leben im Wasser ausstirbt, und um die Lebensgrundlage der lokalen Fischer in unseren Städten zu retten.

Es handelt sich also um echte Probleme, die unsere Bevölkerung schwer belasten, nur weil wir uns mit dem Problem eines anderen befassen müssen.

 

Ich habe vor kurzem gelernt, dass es in Nairobi, Kenia, eine eigene Station der Klinik für Patient:innen mit Atemwegserkrankungen gibt, die durch die lokale Textilmülldeponie verursacht werden. Ist das in Accra ähnlich?

Die Mülldeponien sind ein grauenhafter Anblick. Die Abfälle kommen unsortiert an. Alles ist vermischt. Das reicht von schädlichen Chemikalien bis hin zu giftigen Emissionen in den umliegenden Dörfern, die um die Mülldeponie herum angesiedelt sind. So erleben wir, dass einige Gemeindemitglieder Babys mit Missbildungen zur Welt bringen, weil sie täglich all diese Giftstoffe einatmen. Es handelt sich also um echte Probleme, die unsere Bevölkerung schwer belasten, nur weil wir uns mit dem Problem eines anderen befassen müssen.

 

Was halten Sie von Einfuhrverboten für gebrauchte Textilien, wie sie zum Teil schon in Ländern wie Ruanda eingesetzt werden?

Eine Sache, die mir in den Sinn kommt, ist das Verbot einer bestimmten Kategorie von Textilien, wie Polyester, insbesondere die Arten von Materialien, die sich dehnen können, die sehr schwer zu verarbeiten sind und die sich schnell zu Mikroplastik abbauen. Dieses Mikroplastik wird von Wassertieren aufgenommen und gelangt in ihr Körpergewebe. Wenn Menschen also diese Tiere verzehren, wird Mikroplastik auch von ihnen aufgenommen. 

Studien konnten schon beweisen, dass Mikroplastik Auswirkungen auf die Menschen in der Stadt hat: Mikroplastik kann in ihren Blutkreislauf und in ihre genetische Konfiguration eindringen, sodass sie unfruchtbar werden. Das sind also die Auswirkungen, mit denen wir es zu tun haben. Wenn wir eine Kategorie von Textilien verbieten könnten, wären wir in der Lage, Lösungen und Technologien für die Verarbeitung der anderen Formen zu finden, die wirtschaftlich sinnvoll recycelt, upgecycelt und verwaltet werden können.

 

Ausblick zu Textilexporten nach Ghana

Wir sind sehr dankbar, dass wir im Rahmen des 202030 Berlin Fashion Summit mit Solomon Noi sprechen konnten, um die ganz konkreten Auswirkungen unserer Textilexporte besser zu verstehen. Wir finden, es kann nicht sein, dass globale Abfallströme immer noch auf kolonialistischen Mustern basieren und dass Menschen im Globalen Süden für die Entsorgung unserer Textilien verantwortlich gemacht werden.

Auf den ersten Blick erscheint es für die Menschen, Tiere und Umwelt vor Ort sehr sinnvoll, was Solomon Noi am Ende des Interviews erwähnt: Warum schließt man nicht eine Materialgruppe aus den Exporten aus, die unter anderem durch entstehendes Mikroplastik die verheerendsten Auswirkungen haben? In der Realität am globalen Secondhandmarkt mag das schwer umsetzbar sein, aber ist dennoch eine Überlegung wert. Schließlich machen wir es in anderen Bereichen wie beim Recycling von Flaschen, Papier oder Plastik ja nicht anders und trennen die Abfallströme basierend auf den Rohstoffen, aus denen sie bestehen.

 

Auf dem 202030 Berlin Fashion Summit, wo wir Solomon Noi kennenlernen durften, ging es natürlich auch um EPR für Textilien und ob die neue Richtlinie für Herstellerverantwortung vor Ort wirklich etwas bewirken wird. Liz Rickets von der in Accra, Ghana, ansässigen Or Foundation zeigt sich auf Basis der aktuellen EPR in Frankreich und der Niederlande eher skeptisch. Gerade deswegen ist es unheimlich wichtig, dass EU-Kommission und EU-Rat in ihren Diskussionen um die Weiterentwicklung der EPR auch Länder im Globalen Süden miteinbeziehen, die am Ende der Wertschöpfungskette stehen.

 

Quellen

https://www.fashionrevolution.org/about/transparency/

https://www.eea.europa.eu/publications/eu-exports-of-used-textiles/eu-exports-of-used-textiles/download.pdf

https://www.ellenmacarthurfoundation.org/epr-policy-for-textiles

https://atmos.earth/fashion-clothing-waste-letter-ghana/