Erweiterte Herstellerverantwortung (EPR): Die neue EU-Richtlinie für Textilien
Altkleider
Kreislaufwirtschaft
Hannah
26.09.2023
Textilunternehmen sollen in der EU anhand der Erweiterten Herstellerverantwortung bald Verantwortung für den gesamten Lebenszyklus ihrer Produkte übernehmen. Das Ziel? Es soll weniger Textilabfälle geben, indem Kleidung wieder verkauft oder recycelt wird, statt sie zu entsorgen, verbrennen oder exportieren. Wir wollen uns heute ansehen, wann die Erweiterte Herstellerverantwortung in Kraft treten könnte, was die EU-Richtlinie für Textilien erreichen will und wie konkrete Regeln und Sanktionen bei ihrer Nichteinhaltung aussehen.
Erst einmal wollen wir die Erweiterte Herstellerverantwortung in einen größeren Kontext aktueller EU-Vorschläge einordnen, die sich für mehr Nachhaltigkeit in der Textilbranche einsetzen. Unter dem Mantel des EU Green Deal schlägt die EU-Kommission einige Gesetzesentwürfe vor, die alle auf ein übergeordnetes Ziel einzahlen sollen: Die EU soll bis 2050 klimaneutral sein und damit der erste Kontinent auf der Welt, der das erreicht.
Warum brauchen wir die Erweiterte Herstellerverantwortung?
In der EU fallen jedes Jahr immense Mengen an Textilabfällen an: insgesamt 12,6 Millionen Tonnen. Ein beträchtlicher Teil davon, nämlich 5,2 Millionen Tonnen, entfällt allein auf Kleidung und Schuhe, was einer Menge von 12 Kilogramm Textilmüll pro Person und Jahr entspricht. Allerdings werden gegenwärtig nur 22% der Altkleider separat gesammelt, um sie wiederzuverwenden oder zu recyceln. Die restlichen Abfälle werden oft verbrannt oder auf Deponien entsorgt.
So entsteht also eine enorme Menge an Textilmüll, der sich durch Weiterverwertung vermeiden ließe. Nur ist es gerade für viele Unternehmen billiger und schlichtweg bequemer, sich nicht um die Entsorgung ihrer Produkte zu kümmern. Hier kommt die Erweiterte Herstellerverantwortung (oft EPR, für Extended Producer Responsibility) ins Spiel: Sie sorgt dafür, dass Unternehmen, die ihre Kleidung in der EU verkaufen wollen (egal, ob die Klamotten dort hergestellt oder importiert wurden) entlang des gesamten Lebenszyklus eines Produktes die Verantwortung für dieses übernehmen. Das bedeutet auch, dass sie Gebühren für jedes Kleidungsstück zahlen müssen, dass sie entsorgen. Was bisher bereits die Verantwortung für die Entsorgung von Verpackungen, Batterien sowie Elektro- und Elektronikgeräte erhöht hat, soll nun auch für Textilien gelten.
Ziele der Erweiterten Herstellerverantwortung:
- Wiederverwertung im Einklang mit der Abfallhierarchie:
Die Regeln zur Wiederverwertung von Textilien finden im Einklang mit der Abfallhierarchie statt. Auch wir bei recyclehero halten uns an diese Hierarchie, sodass wir eure Altkleider zuerst zur Wiederverwendung an einen Secondhandshop abgeben, dann an eine Hilfsorganisation und den Rest schließlich upcyceln oder recyceln. Was nicht recycelt werden kann, soll laut Abfallhierarchie repariert und erst im letzten Schritt, wenn alle anderen Optionen ausgeschlossen wurde, entsorgt werden.
- Investition in Technologie:
Die EPR schafft Investitionen in Technologie: Unter anderem durch die Gebühren, die Unternehmen für die Nichteinhaltung der EPR zahlen müssen (dazu später mehr) sollen neue innovative Technologien finanziert werden. Faser-zu-Faser Recycling zum Beispiel ist eine innovative Möglichkeit, sortenreine Altkleider, die sich nicht zum Wiederverkauf eignen, durch eine Art Schredder ihre Fasern zu zerlegen und daraus recyceltes Garn für die Produktion neuer Textilien zu spinnen. Diese Technologie gibt es zwar schon, ist momentan aber technisch noch nicht ganz ausgereift und zu teuer, um sie breitflächig einzusetzen. Das sollen EU-Investitionen durch die EPR verändern. - Lokaler Altkleiderkreislauf mit lokalen Arbeitsplätzen:
Die EPR gewährt einen lokalen Altkleiderkreislauf, der wiederum lokale Arbeitsplätze schafft. Statt dem bisher gängigen Export der Textilien in den Globalen Süden soll es bald ein Netzwerk an lokalen Möglichkeiten zum Wiederverkauf, Recycling und Wiederverwendung sekundärer Rohstoffe geben. Das gefällt uns natürlich besonders gut, denn das Etablieren lokaler Kreisläufe ist eines unserer Hauptziele bei recyclehero. Durch unser lokales Netzwerk an Partnern setzen wir uns gezielt für die Wiederverwendung von Textilien ein und schaffen lokale Arbeitsplätze. - Finanzielle Anreize für kreislauffähige Textilproduktion:
Die EPR initiiert finanzielle Anreize für Hersteller, kreislauffähige Textilien zu produzieren. Sobald Hersteller für die Kosten zur Bewirtschaftung von Textilabfällen aufkommen sollen, besteht zum ersten Mal ein finanzieller Anreiz, das Abfallaufkommen zu verringern. Mittel- bis langfristig soll das dazu führen, dass Unternehmen kreislauffähigere Produkte herstellen, denn Produkte, die im Kreislauf bleiben, vermeiden langfristig Müll und verhindern so, dass Herstellende hohe Gebühren für die Entsorgung von Textilmüll zahlen müssen. So wird die Wiederverwendung und das Recycling von Textilien womöglich zum ersten mal profitabler als deren Entsorgung. - Getrennte Sammlung von Textilien in allen Mitgliedsstaaten:
Die EPR regelt außerdem, dass Textilien in allen Mitgliedstaaten getrennt gesammelt werden müssen. Aktuell landen 62% der Altkleider in der EU im Hausmüll – vermutlich, weil die Infrastruktur für die Sammlung von Altkleidern noch nicht genug ausgebaut ist oder die Menschen schlichtweg nicht über die Auswirkungen Bescheid wissen. Dieses neue System getrennter Sammlung, Sortierung, Wiederverwendung und Recycling soll auch durch die Beiträge der Unternehmen finanziert werden. Aber wann genau müssen Hersteller eigentlich in die Tasche greifen?
Was sind konkrete Regeln und wie hoch sind die Sanktionen bei Nichteinhaltung?
Die Regeln der Erweiterten Herstellerverantwortung sollen verbindlich sein und einheitlich für alle EU-Staaten gelten. Allerdings gibt es eine umweltbezogene Gebührenstaffelung. Nach dem Prinzip der Ökomodulation sind die Beiträge der Hersteller abhängig von der jeweiligen Umweltleistung der Textilien. So werden Produkte und Verpackungen, die auf eine erhöhte Kreislauffähigkeit abzielen, geringer bepreist.
Genaue Regeln und Gebühren stehen im aktuellen Gesetzesentwurf leider noch nicht fest. Man kann nur hoffen, dass die Gebühren für Unternehmen einen tatsächlichen Anreiz zur umweltfreundlicheren Herstellung kreislauffähiger Produkte darstellen und nicht einfach nur dazu führen, dass Unternehmen bereitwillig die Kosten für umweltschädliche Produktion in Kauf nehmen.
Wann tritt die Erweiterte Herstellerverantwortung in Kraft?
Bisher ist die Erweiterte Herstellerverantwortung ein Vorschlag der Europäischen Kommission, der anschließend vom Europäischen Parlament und vom Rat im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens geprüft wird und bis 2025 in Kraft treten könnte. Es ist aber aus mehreren Gründen ziemlich wahrscheinlich, dass der Vorschlag angenommen wird:
Zunächst einmal steht die Erweiterte Herstellerverantwortung im Einklang mit der EU-Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien, die wiederum auf die Ziele des EU Green Deal einzahlt. Ein weiteres Zeichen, das uns positiv stimmen sollte, ist die Einführung der Erweiterten Herstellerverantwortung in Frankreich seit 2022 und in den Niederlanden seit Juli 2023. Dort müssen sich Hersteller, die Firsthand-Textilien verkaufen beziehungsweise importieren, bereits bei den Behörden melden, um ins System für potenzielle Gebühren aufgenommen zu werden. Bis 2025 sind die Unternehmen formell individuell rechenschaftspflichtig, müssen aber bis 2025 nicht über die tatsächliche Umsetzung und die Ergebnisse berichten. Darüber hinaus gibt es bereits umfangreiche Pläne für nationale EPR-Initiativen in Schweden, Finnland, Norwegen, Bulgarien, Griechenland und Spanien.
Kritik am bisherigen Entwurf der Erweiterten Herstellerverantwortung
Kritiker*innen heißen den Vorschlag der Kommission zwar willkommen, äußern sich aber dennoch skeptisch – vor allem dem Timing gegenüber. Kritisiert wird eine zu langsame Implementierung der Verordnung, sodass bis dahin zu viel Schaden durch die Entsorgung und den Export von Textilien entsteht.
Ein weiterer Kritikpunkt, den die Gruppe Zero Waste Europe geäußert hat, ist der Fokus auf die Entsorgung der Textilien, obwohl die anfängliche Produktion der Textilien noch viel weitreichendere Folgen auf die Umwelt habe. Damit geht auch einher, dass die soziale Komponente bei der Produktion, also etwa die Bezahlung fairer Löhne an Textilarbeiter*innen, im Rahmen der EPR vorerst unter den Tisch fällt. Die bereits eingeführte Erweiterte Herstellerverantwortung in Frankreich wird außerdem für ihre zu geringen Gebühren kritisiert: Zwar können pro Kleidungsstück bis zu 6 Cent verlangt werden, der Durchschnitt liegt aber eher bei einem Cent pro Kleidungsstück. Kritiker*innen behaupten, diese Sanktionen seien zu gering, um für Unternehmen langfristig Anreize zur Wiederverwendung und zum Recycling darzustellen.
Ausblick in eine Zukunft mit der Erweiterten Herstellerverantwortung
Trotz aller Kritik sollten wir anerkennen, dass die EPR ein essentieller Schritt in Richtung der EU-Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien ist. Wenn Hersteller entlang der gesamten Wertschöpfungskette die Verantwortung für ihre Produkte übernehmen, könnte es dazu kommen, dass Textilien langlebig, reparierbar, und recyclingfähig sind, größtenteils aus Recyclingfasern bestehen, und keine gefährlichen Stoffe enthalten.
Die EPR soll beispielsweise dazu beitragen, den Verbrauch von Rohmaterialien bis 2030 um die Hälfte zu senken. Wiederverwendungs- und Reparaturdienste sollen rentabler und verfügbarer werden, Kleidung soll so selten wie möglich verbrannt oder weggeworfen werden und langfristig erhofft sich die EU auch eine Kosteneinsparung für Bürger*innen durch den Übergang von Fast Fashion zu zeitloser Mode. Es ist natürlich fraglich, ob wir uns langfristig mit zeitloser Mode fernab von schnelllebigen Trends zufrieden geben, aber es wäre durchaus vorstellbar, dass wir uns am großen Fundus von Secondhandmode bedienen, da sich schließlich auch Modetrends immer wiederholen.
Wir bei recyclehero stellen uns eine Zukunft vor, in der wir die Infrastruktur für die Sammlung und Sortierung von Altkleidern so verbessern, dass wir eure Altkleider nach der Abholung zu unseren lokalen Partnern bringen, die die Kleidung zunächst verkaufen, dann wiederverwenden und schließlich zu neuem Garn verarbeiten. So werden alle Ressourcen optimal genutzt und bleiben im Kreislauf. Je mehr lokale Partner wir zur Abnahme finden, desto geringere Strecken müssen die Altkleider zurücklegen und desto mehr Emissionen können wir einsparen. Wir werden uns weiterhin für lokale Kreisläufe einsetzen und hoffen, ihr unterstützt uns auch weiterhin auf dieser Mission!
Quellen:
https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_23_3635
https://environment.ec.europa.eu/strategy/textiles-strategy_en
https://vatcompliance.co/epr-in-france-textiles/
https://www.circularonline.co.uk/opinions/the-polluter-pays-for-take-make-waste-model-in-fashion/
https://zerowasteeurope.eu/our-work/eu-policy/product-redesign/textiles/
https://globalfashionagenda.org/news-article/harmonised-epr-for-textiles/
https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/abfall-und-recycling/recycling/24704.html