EPR für Textilien: Was wir von den Niederlanden lernen können

Was wir durch die EPR für Textilien in den Niederlanden lernen können, bevor wir sie in Deutschland implementieren

Die EU plant aktuell die Implementierung der Erweiterten Herstellerverantwortung (Extended Producer Responsibility) bzw. EPR für Textilien. Laut ihr sollen Hersteller entlang der gesamten Wertschöpfungskette für ihre Produkte verantwortlich gemacht werden, sodass auf die Entsorgung von Textilien Sanktionen folgen. Einige EU-Länder, zum Beispiel Frankreich und die Niederlande, sind der EU schon einen Schritt voraus und haben EPR bereits eingeführt. Wir wollen uns ansehen, was funktioniert und wo es noch Verbesserungspotenzial gibt. Wir wollen herausfinden: Was kann Deutschland im Hinblick auf EPR von den Niederlanden lernen?

 

Inhalte

EPR für Textilien in anderen EU-Ländern

EPR für Textilien in den Niederlanden

Verbesserungspotenzial bei der niederländischen EPR

Auswirkungen auf den Globale Süden sollten in EPR-Entscheidungen berücksichtigt werden.

Die EPR-Gebühren sollten höher ausfallen.

Nachhaltig produzierte Kleidung sollte geringere Gebühren nach sich ziehen ("Ökomodulation").

Um Textilmüll langfristig vorzubeugen, sollte EPR mit anderen Gesetzen kombiniert werden.

Ein Ausblick auf EPR in Deutschland 

 

EPR für Textilien in anderen EU-Ländern

Bevor EPR (Abkürzung für Erweiterte Herstellerverantwortung) in Deutschland eingeführt wird, wollen wir uns die EPR-Lösungen in anderen EU-Ländern mal ansehen und definieren, was wir uns einerseits abgucken können und wo es andererseits noch Verbesserungsbedarf gibt. Aktuell gibt es EPR schon in Frankreich (seit 2007) und den Niederlanden (seit Juli 2023), aber auch in Belgien und in Schweden sind bereits erste Bemühungen zu erkennen.

Deutschland ist für 36% aller EU-Textilexporte verantwortlich und belegt damit mit Abstand den ersten Platz auf der EU-Rangliste. Schon alleine aufgrund dieser massiven Exportmengen eine große Verantwortung und sollte die Übergangszeit nutzen, um sich mit Verbesserungen der EPR auseinanderzusetzen. Die Niederlande ist innerhalb der EU nach Deutschland der zweitgrößte Exporteur von Textilien, weshalb wir uns im Laufe des Artikels vor allem auf die Niederlande fokussieren wollen.

 

EPR für Textilien in den Niederlanden

EPR für Textilien in den Niederlanden

Seit dem 1. Juli 2023 sind die Niederlande ganz vorne mit dabei, wenn es um die Einführung der EPR für Textilien geht. Das bedeutet, dass Hersteller nun dafür verantwortlich sind, die Finanzierung und Organisation der Sammlung, Wiederverwendung und des Recyclings von Textilerzeugnissen sicherzustellen. Unternehmen, die Textilien auf dem niederländischen Markt vertreiben, müssen sich bei einem staatlich anerkannten EPR-System registrieren und die Menge der in Verkehr gebrachten Textilien angeben. So wird sichergestellt, dass alle entlang der Wertschöpfungskette Verantwortung übernehmen - egal ob Produzent:innen oder Importeur:innen.

In den Niederlanden sieht die Verordnung vor, dass sich Unternehmen, die Textilien in den Niederlanden auf den Markt bringen, bei einem gesetzlich anerkannten EPR-System registrieren. Dort müssen sie die voraussichtliche Menge der in Verkehr gebrachten Textilien angeben. Auf Basis dieser Menge erhalten die Unternehmen bei der EPR in den Niederlanden Recycling-Vorgaben, die einzuhalten sind.

Das sind die aktuellen Vorgaben (alle Prozentangaben beziehen sich auf den Anteil am Gesamtgewicht der Kleidung):

  • Anteil der lokal wiederverwendeten Textilien: bis 2025 10%, bis 2030 15%
  • Recyclinganteil bei Neuware: bis 2025 25%, bis 2030 30%
  • Anteil der recycelten Produkte nach der Sammlung, wenn eine sofortige Wiederverwendung nicht möglich ist: bis 2025 30%, bis 2030 50%

“In the Dutch EPR scheme, we have set targets for preparation for local re-use, recycling and fibre-to-fibre recycling based on a research paper and monitoring reports. I think setting targets is an important way to give direction to what you want to achieve with the implementation of EPR schemes.” – Marije Slump, Policy Officer Circular Textiles at Ministerie van Infrastructuur en Waterstaat

Die Hürde soll also insgesamt deutlich niedriger werden, Kleidung lokal gebraucht zu kaufen, reparieren zu lassen oder zum Recycling zu geben; insgesamt soll lokaler Reuse also attraktiver werden, als Kleidung zu entsorgen. Daher müssen Unternehmen auch Sammelbehälter zur Abgabe von Alttextilien bereitstellen bzw. sicherstellen, dass Menschen ihre gebrauchte Kleidung bei Sammelstellen abgeben können; auch für Online-Händler gilt eine Pflicht zur Rücknahme von Alttextilien per Versand. Die EPR in den Niederlanden gilt also nicht nur für inländische Firmen, sondern auch für Textilhersteller oder -importeure, die ihre Ware in die Niederlande importieren.

 

Verbesserungspotenzial bei der niederländischen EPR

Auswirkungen auf den Globale Süden sollten in EPR-Entscheidungen berücksichtigt werden.

Auch das Thema Exportverbote und ihre Auswirkungen auf den Globalen Süden sind wichtige Aspekte, die berücksichtigt werden müssen. Überlegungen zum Potenzial von Secondhand-Märkten und Recycling-Technologien sind in der Regel weit entfernt von der Realität in den Empfängerländern der meisten Altkleider und kommt darüber hinaus eher Akteuren in Europa und dem Westen zugute. Die Akteure am "Ende" der Wertschöpfungskette in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, ist essenziell, um sicherzustellen, dass die Entwicklungen in diesen Bereichen wirklich nachhaltig und gerecht verlaufen.

EPR-Systeme sollten eine vernünftige Lösung für Importländer beinhalten, denn reine Importverbote, wie einige afrikanische Länder sie bereits eingeführt haben, sind nicht ausreichend, um das Problem zu lösen. Importverbote sind kein geeignetes Mittel, um die negativen sozioökologischen Auswirkungen gebrauchter Textilien zu bekämpfen, unter anderem weil sich schnell Tendenzen zu vermehrten illegalen Aktivitäten erkennen lassen.

Viele Akteure in den Importländern setzen bereits innovative Lösungen für die Wiederverwertung von gebrauchten Textilien ein. Derzeit kümmern sich die Exportländer – einschließlich der Niederlande – aber nicht für die Finanzierung, die für die Aufrechterhaltung, Entwicklung und ggf. Ausweitung dieser Strategien für die Kreislaufwirtschaft erforderlich sind. Es kann nicht so weiter gehen, dass der Globale Süden für die Verarbeitung unserer Textilien verantwortlich gemacht wird, aber dabei finanziell nicht unterstützt wird. Eine Art Innovationsfonds für Technologien zum textilen Abfallmanagement in den Importländern von Altkleidern sollte bei der Verwendung der Einnahmen aus den EPR-Gebühren dringend beachtet werden.

 

Die EPR-Gebühren sollten höher ausfallen.

EPR-Gebühren in der Niederlande sollten höher ausfallen, damit sich etwas verändert.

Apropos Gebühren: Momentan belaufen sich die EPR-Gebühren für Hersteller:innen in den Niederlanden pro Kleidungsstück auf durchschnittlich 0,03 € pro Stück und werden bis 2025 auf 0,06 € pro Stück steigen. Diese Preise liegen deutlich unter den tatsächlichen Kosten, die alleine für das Sortieren von Textilien in Europa anfallen (geschätzt ca. 0,35 €), ganz zu schweigen von der Internalisierung der Gesamtkosten für Transport, Verarbeitung und Entsorgungskosten.

Die Gebühren für Hersteller:innen sollten unbedingt so hoch sein, dass sie die tatsächlichen Kosten für Sammlung, Verarbeitung und Entsorgung von Textilien widerspiegeln; andernfalls bewirken sie keinen ausreichenden Hebel für Veränderung. Denn es wird schnell deutlich, dass das Sortieren von gebrauchten Textilien aktuell kein Business Case ist, der sich für jegliche Stakeholder lohnt. Der wirkliche Geschäftsnutzen der Sortierung für die Kreislaufwirtschaft muss bei der Entwicklung und Implementierung der zukünftigen EPR-Systeme in ganz Europa unbedingt berücksichtigt werden und sollte unter anderem durch höhere Gebühren finanziert werden. Eine öffentlich-private Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Interessengruppen auf nationaler und kommunaler Ebene könnte dazu beitragen, effizientere Erhebungsverfahren in den Niederlanden zu entwickeln, um sicherzustellen, dass die im Rahmen der EPR gesammelten Gelder so effizient wie möglich umverteilt werden.

 

Nachhaltig produzierte Kleidung sollte geringere Gebühren nach sich ziehen ("Ökomodulation").

EPR-Richtlinie für Textilien in den Niederlanden

Obwohl die Niederlande in Sachen EPR eine absolute Vorreiterrolle innehält, besteht in einigen Aspekten noch Raum für Verbesserung: Beispielsweise sollte nicht nur die Menge der Textilien erfasst werden, sondern auch ihre Qualität berücksichtigt werden: Die Langlebigkeit, Reparierbarkeit und Recyclingfähigkeit der Kleidung sollte unbedingt mit in die Entscheidung der Gebühren einfließen, sodass Produzent:innen einen Anreiz haben, Produkte kreislauffähig zu produzieren. Allerdings braucht es dafür weitere Investitionen in die automatisierte Sortierung von Textilien, beispielsweise mit Infrarot-Technologie. 

Wenn dich das Thema Sortierung von Altkleidern interessiert, empfehlen wir dir unseren Artikel Alles Handarbeit – Darum können Roboter keine Altkleider sortieren.

Das Prinzip, die Gebühren so zu gestalten, dass umweltfreundliche Produkte geringer bepreist werden, nennt sich Ökomodulation und spielt eine entscheidende Rolle bei der Inzentivierung von kreislauffreundlichem Design. Mit einer Ökomodulation der Gebühren könnten EPR-Systeme für Textilien Investitionen in in Kreislaufwirtschaft, Ökodesign und Recyclingtechnologien, sowie Initiativen von nachhaltigen KMU, die in Nischenmärkten tätig sind, belohnen. Die Kosten für den Weiterverkauf von Textilien, die Logistik und die Abfallentsorgung in Ghana kommen beispielsweise auf ca. 1,48€ pro Kleidungsstück. Mit Berücksichtigung der Ökomodulation könnte dies zu einer EPR-Gebühr zwischen 0,47 € und 2,34186 € pro Kleidungsstück ergeben (statt aktuell ca. 0,03€).

 

Um Textilmüll langfristig vorzubeugen, sollte EPR mit anderen Gesetzen kombiniert werden.

EPR sollte mit anderen Gesetzen wie der Ökodesignverordnung kombiniert werden.

EPR ist eine Gesetzgebung, die sich um das sinnvolle Handling von Textilmüll dreht. Während das natürlich wichtig ist, kann EPR allerdings nicht alleine wirken, sondern muss unbedingt von sinnvollen Maßnahmen begleitet werden, die die Ursachen des Textilmülls bekämpfen: die Überproduktion von Kleidung. Würden Modeunternehmen weiterhin so viel produzieren wie sie es aktuell tun bzw. ihre Produktionszahlen weiter erhöhen, wäre EPR alleine so effektiv, als würde man eine Platzwunde mit einem kleinen Pflaster heilen wollen.

Zwar hilft die Ökomodulation der Gebühren schon mal als Anreiz, Produkte nachhaltiger zu herzustellen, aber es kommen zusätzlich auch Gesetzesentwürfe wie die Ökodesignverordnung und der Digitale Produktpass ins Spiel, die kreislauffähiges Design für Unternehmen verbindlicher und attraktiver machen. Wenn du mehr über aktuelle Gesetzesentwürfe der EU erfahren möchtest, empfehlen wir dir folgenden Artikel: Mit diesen neuen Gesetzen greift die EU jetzt gegen Fast Fashion durch.

 

Ein Ausblick auf EPR in Deutschland 

Deutschland kann definitiv von den Erfahrungen der Niederlande profitieren. Eine verpflichtende Einführung der EPR und ein Einbeziehen des Globalen Südens sind wichtige Schritte. Zudem sollten die Gebühren nicht nur auf Gewicht und Anzahl der Produkte abzielen, sondern auch Qualität, Langlebigkeit und Recyclingfähigkeit berücksichtigen. EPR allein wird nicht alle Probleme lösen, daher sollten auch begleitende Maßnahmen wie die Ökodesignverordnung in Betracht gezogen werden.

Die niedrigen EPR-Sätze, die fehlende Ökomodulation und die mangelnden Anforderungen an die Mengenangaben in den Niederlanden tragen dazu bei, dass bisher keine Anreize zur Verringerung der Menge neu produzierter Kleidung bestehen. Ohne diese entscheidenden einschränkenden Komponenten ist es unwahrscheinlich, dass sozioökologische Schäden, die durch die Entsorgung von Altkleidern entstehen, sinnvoll angegangen werden können.

Die Einführung der EPR für Textilien ist trotzdem natürlich ein wichtiger Schritt in Richtung einer nachhaltigeren Wirtschaft. Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass die Textilindustrie eine Zukunft hat, die nicht auf Kosten unserer Umwelt geht. Mit einer effektiven Zusammenarbeit von öffentlichen und privaten Akteuren können wir sicherstellen, dass die Einführung der EPR hierzulande auf einem soliden Fundament steht.

 

Quellen

https://www.government.nl/documents/reports/2024/02/02/destinations-of-dutch-used-textiles

https://deutsche-recycling.de/blog/epr-niederlande/

https://www.ecosistant.eu/textil-epr-in-den-niederlanden/

https://circulareconomy.europa.eu/platform/sites/default/files/eucts-epr-textile-output.pdf

https://reports.fashionforgood.com/report/sorting-for-circularity-europe/

https://www.ecologic.eu/de/18066