Was macht man mit vollen Windeln, Malte? Fünf Fragen an den Goldeimer-Gründer
Klima
Impact
Hannah
07.02.2024
Vor kurzem durften wir mit recyclehero das Projekt Windelwald von Goldeimer unterstützen: Im Rahmen des Tests haben wir bei 50 Hamburger Haushalten Eimer mit benutzten Windeleinlagen abgeholt, die im Anschluss von Goldeimer kompostiert und zum Windelwald verarbeitet werden. Das Projekt wollten wir zum Anlass nehmen, dem Gründer von Goldeimer, Malte Schremmer, ein paar Fragen zu stellen. Malte erzählt uns etwas über das Projekt Windelwald, die Sanitärwende und wie ihn eine Durchfallerkrankung auf die Idee zu Goldeimer gebracht hat.
Lieber Malte, kannst du dich bitte für unsere Blog-Leser:innen vorstellen un erklären, was du bei Goldeimer machst und wie du dazu gekommen bist?
Ich bin Malte und bin jetzt tatsächlich in meinem elften Goldeimer Jahr. Wir haben Goldeimer 2013 gegründet und ich bin jetzt seit zwei Jahren der verantwortliche Eigentümer und Geschäftsführer bei Goldeimer. Über die Jahre habe ich verschiedenste Stationen bei uns durchlaufen: Am Anfang war Goldeimer ja ein Projekt, welches ich mit Freund:innen aus dem Studium gestartet habe, wo wir einfach Toiletten auf Festivals betrieben haben; das war zu dem Zeitpunkt auch vorerst meine Hauptbeschäftigung. Dadurch bin ich jahrelang von Wochenende zu Wochenende, von Festival zu Festival getourt, um dort die Toiletten zu betreiben.
Irgendwann hat sich dann unsere Produkt- und Dienstleistungspalette über die Jahre ausweitet. Wir haben dann noch eigenes Klopapier dazu bekommen, einen Kleingarten und Trockentoiletten. Dadurch haben wir ein Portfolio entwickelt. Inzwischen setzen wir auch ganz viel Zeit und Energie auf das Storytelling, weil wir vor allem auch Menschen für das Thema Sanitärkrise sensibilisieren wollen. Ich mische da also überall immer so ein bisschen mit. Ich bin viel unterwegs in Organisationsentwicklung und im Strategiebereich und schleppe dann manchmal auch neue Ideen in das Team, wie zum Beispiel den Windelwald jetzt.
Erklär uns nochmal, woher die Idee für Goldeimer kam und welche Motivation dahinter steckt.
Ich habe viele Jahre ehrenamtlich bei Viva con Agua gearbeitet und war dann mit dabei auf einer Projektreise in Burkina Faso. Dort habe ich dann starken Durchfall bekommen, weshalb ich auch die Reise vorzeitig abbrechen musste. Danach habe ich angefangen, mich mit der Sanitärversorgung zu beschäftigen, weil es auf der ganzen Reise nahezu keine sanitäre Infrastruktur gab. Ich war damals das erste Mal in Afrika und hier in Europa sind wir ja mit Kanalisation und Spültoiletten sozialisiert.
Zwei Drittel der Weltbevölkerung haben keinen gesicherten Zugang zu sanitärer Versorgung, weshalb Durchfallerkrankungen in Ländern ohne sanitäre Infrastruktur eine der Haupttodesursachen für Kinder ist.
Danach habe ich angefangen, mich immer mehr damit zu beschäftigen und gemerkt, dass das ein ganz schönes Rabbithole ist und man sich mit vielen gesundheitlichen und ökologischen Punkten, die anders laufen können, beschäftigen kann. Deswegen habe ich auch meine Bachelorarbeit über alternative Sanitärsysteme geschrieben und dort ist dann die Idee “Trockentoiletten auf Festivals” als Alternative zu Dixi Klos entstanden. Der Haupttreiber ist aber immer schon gewesen, dass zwei Drittel der Weltbevölkerung keinen gesicherten Zugang zu sanitärer Versorgung hat und deshalb Durchfallerkrankungen in Ländern ohne sanitäre Infrastruktur eine der Haupttodesursachen für Kinder ist – was hierzulande eine vermeidbare Randerscheinung ist.
Dazu kommt natürlich, dass dieses Thema immer noch ein Tabuthema ist, wobei man natürlich auch sagen muss, dass sich das in den letzten zehn Jahren schon ein bisschen geändert hat. Dennoch ist es grundsätzlich nichts, worüber man gerne spricht. Das sind eigentlich die Hauptgründe, warum wir Goldeimer machen. Wir sind ein gemeinnütziges Unternehmen, um zu sensibilisieren, Bildungsarbeit zu machen und natürlich auch mit den Geldern, die wir hier erwirtschaften, Projekte im Globalen Süden zu finanzieren.
Das gelingt euch richtig gut, für das Thema zu sensibilisieren, es aber auch wieder sexier zu machen. Ein Teil davon ist auch der Windelwald, bei dem wir euch unterstützen. Kannst du nochmal erklären, was genau beim Windelwald passiert und wie ihr auf das Projekt gekommen seid?
Was wir auf den Festivals machen, nennen wir ja Sanitärwende, weil unsere Fäkalien über die Kanalisation in der Kläranlage landen und letztlich dann oft als Klärschlamm dann einfach verbrannt werden. Aber eigentlich sind die Fäkalien ein Wertstoff, der recycelt und in den Kreislauf zurückgeführt werden müsste. Dafür setzen wir uns in Deutschland ganz stark ein mit Forschungsarbeit und politischer Lobbyarbeit, um auch die Rechtsgrundlage zu ändern.
Genau dasselbe Thema gilt natürlich auch für Babys. Die Kacke von Babys könnte man auch in irgendeiner Form recyceln, denn dort sind Stoffe enthalten, aus denen man Kompost machen kann. Der Vorteil ist, dass sie erst gar nicht in Kontakt mit Abwasser kommt, weil sie nicht Teil des Abwassersystems ist; denn die Wegwerfwindeln landen ja in der Regel im Restmüll. Es kommen also verschiedene Komponenten zusammen: Zum einen die verlorenen Nährstoffe, sodass man da einen richtig guten und fruchtbaren Humusdünger daraus herstellen könnte und das andere ist eben der Wahnsinn an Müll, den diese Windeln erzeugen.
In einer Wegwerfwindel ist ein erdölbasierter Superabsorber enthalten, das sind kleine Salzpartikel und große Plastikkügelchen, die aber eine unglaubliche Saugkraft haben. Der Rest vom Saugkern besteht aus Zellulose, also ein frisch gefällter Baum, der eine Plastikumhüllung hat. Diese Wegwerfwindel wird dann in der Regel für drei Stunden verwendet und anschließend weggeschmissen.
"Wenn man sich diese Kette mal anschaut, ist es sowohl vom Herstellungsverfahren als auch von der Verwendung der Rohstoffe, bis hin zur Entsorgung eine komplette Vollkatastrophe."
Die Windeln landen dann auch wieder in der Verbrennungsanlage, dort wird beim Verbrennungsprozess CO2 freigegeben und was übrig bleibt, ist eine Art Asche, die in Salzbergwerken unter der Erde dauerhaft deponiert wird. Wenn man sich diese Kette mal anschaut, ist es sowohl vom Herstellungsverfahren als auch von der Verwendung der Rohstoffe, bis hin zur Entsorgung eine komplette Vollkatastrophe. Ein Baby verbraucht in seiner regulären Wickelzeit ca. 5000 Wegwerfwindeln, was ungefähr einem LKW voll Müll entspricht.
Unsere Motivation war also: Wie kann man das auch als Kreislauf denken? Wir haben überlegt, wie man diesen Saugkern in der Windel, der einen fossilen Rohstoff enthält, durch etwas nachhaltigeres austauschen kann. Da haben wir jetzt zum Teil Meeresalgen und weiterhin Zellulose verwendet und anstatt das im Anschluss an die Verbrennung zu geben, haben wir gesagt, dass wir das wieder mit recyclehero einsammeln und es im Anschluss kompostieren. Aus den vollgemachten Windeleinlagen machen wir Kompost und pflanzen einen Wald.
Das ist natürlich eher ein symbolischer Wald, weil die Menge der Bäume und Windeln niemals ausreicht. Ich glaube aber trotzdem, dass es ausreicht, um aufzuzeigen, dass du durchaus eine Entscheidung treffen kannst, wenn du Nachwuchs kriegst und sagst, ich wickle jetzt die nächsten drei Jahre mit einer Wegwerfwindel und produziere einen Riesenhaufen Müll oder ich nutze ein Stoffwindelsystem und packe da eine kompostierbare Einlage rein. Ich vergleiche das auch immer gerne mit T-Shirts, weil man nach einem Mal Tragen ja auch nicht gleich das T-Shirt wegwirft. Im Endeffekt ist die Windel nichts anderes als ein Kleidungsstück für ein Baby.
Wir wollen einfach mal ausprobieren, ob das Projekt funktioniert und ob man perspektivisch diese biologisch abbaubare Einlage in größerem Stil produzieren kann und zum Beispiel mit Kitas zusammenarbeiten kann. Es ist so, dass 95% der Eltern Wegwerfwindeln nutzen und höchstens 5% das nachhaltigere Stoffwindelsystem nutzen. Das verbirgt sich also dahinter: Einerseits, dass wir auf die ganze Plastik- und Müllproblematik hinweisen, und dass wir andererseits Lösungen aufzeigen wollen, wie man das ganze auch zirkulär denken kann.
Ich muss sagen, dass ich noch nie darüber nachgedacht habe, welche Wertstoffe in einer Windel zusammen kommen und wie schwer es ist, die zu verarbeiten – gerade wenn es darum geht, wie man diese Stoffe trennt und auch die kurzlebige Nutzungsdauer beachtet. Das ist schon enorm, was da weggeschmissen wird.
Man muss dazu sagen, dass ich auch Vater einer sieben Monate alten Tochter bin; davor habe ich mich damit auch nicht beschäftigt. Es ist im Endeffekt so, dass einen das Thema Windeln in einem kleinen Zeitfenster von zwei bis drei Jahren mit dem Baby beschäftigt. Davor ist es nicht notwendig und danach bist du froh, dass es vorbei ist. Deswegen gibt es vermutlich auch keine konstante Lobbyarbeit gegenüber Firmen wie Procter & Gamble oder anderen großen Windelherstellern.
Das wäre dann interessant, das mal anzugehen, weil sich auch aus Umfragen ergeben hat, dass sich super viele eine Alternative wünschen, es aber keine gibt. Vielleicht kriegen wir das eben hin mit einer biologisch abbaubaren Einlage, dass du auf jeden Fall den Punkt hast, dass du nicht so viel waschen musst und auch Platz sparst, da die Einlagen auch in einer kleinen Wohnung viel Platz zum Trocknen weg nehmen. Deshalb haben wir gesagt, dass wir diese Hybridlösung testen wollen.
Hast du schon eine Idee, wie das Projekt weitergehen könnte? Du hast zum Beispiel schon die Zusammenarbeit mit Kitas erwähnt...
Ja, das hängt jetzt alles von diesem Experiment ab. Es ist ja ein gefördertes Projekt aber ich glaube schon, dass wir auch noch eine Anschlussförderung brauchen, um in diesem Experimentiermodus weiter gehen zu können. Bisher ist es noch kein marktfähiges Produkt, was man auch mit gutem Gewissen in größeren Mengen produzieren kann. Das ist das Problem auch immer bei gemeinnützigen Unternehmen, da wir keine Investoren reinholen können, sondern wir müssen alles selber erwirtschaften und dann erstmal in Vorleistung gehen.
Wir sind also noch nicht ganz sicher, wie wir da weitermachen. Ich könnte mir momentan gut vorstellen, dass wir ein eigenes Stoffwindelsystem vermarkten, was aber erstmal ohne die biologisch abbaubaren Einlagen funktioniert, sondern eher wie die anderen klassischen Stoffwindelanbieter; dann aber mit der gemeinnützigen Komponente. Das könnte man dann nochmal mit den kompostierbaren Einlagen nachrüsten. Das ist für den Anfang erstmal leichter, da man auch sowieso schon mit dem Stoffwindelsystem sehr viel Müll einspart.
Was steht sonst so noch bei Goldeimer an? Habt ihr noch etwas, wo ihr gerade darauf hinarbeitet oder ist der Windelwald gerade euer zentrales Fokusthema?
Wir arbeiten seit drei Jahren an der Umstellung unserer Klopapier-Verpackung; wir stellen die auf WILDPLASTIC um. Das kommt jetzt im Februar, wo wir lange dran gearbeitet haben.
Wir nehmen diesen Sommer unsere eigene Kompostieranlage für die Festivaltoiletten in Betrieb. Das ist auch Teil eines EU-Forschungsprojektes, wofür wir Feldversuche genehmigt bekommen haben. Da kann man dann zum Beispiel Winterroggen anbauen, wo wir nachweisen können, dass man einwandfreien, sicheren Dünger aus menschlichen Fäkalien herstellen kann. Das ist das erste Mal in zehn Jahren, dass wir für diese Feldversuche eine Genehmigung bekommen haben.
Unsere Kollegin Tanja ist gerade in Guatemala bei einem Projekt, das wir unterstützt haben. Dort liefern wir quasi einen Werkzeugkasten für teilnehmende Schulen mit Virtual-Reality-Brillen, die über Sanitärversorgung aufklären. Und wir schreiben bis nächstes Jahr ein neues Buch, wieder mit dem Katapult Verlag. Also wir haben momentan echt viele verschiedene Themen. Langweilig wird es auf jeden Fall nicht.