Was ist Ultra Fast Fashion und was können wir dagegen tun?
Altkleider
Klima
Hannah
25.07.2024
Beim Begriff Ultra Fast Fashion kommen einem vermutlich schnell Namen wie Shein oder Temu in den Kopf, die täglich Zehntausende neue Produkte über ihre Onlinekanäle vertreiben, die innerhalb kürzester Zeit weltweite Bekanntheit und immer neue, absurde Rekorde erreicht haben. Aber wie kann das Modell Ultra Fast Fashion heute noch funktionieren? Worauf setzen die großen Konzerne? Und was können wir dagegen tun?
Inhalte
Was macht die Konzerne besonders gefährlich?
Unabhängigkeit von stationärem Einzelhandel
Neuartige Produktion durch die Insights von Nutzerdaten
Beeinflussbarkeit junger Konsument:innen
Die schiere Masse & schädliche Chemikalien
Was kann man gegen Ultra Fast Fashion tun?
Ausblick auf die Entwicklung von Ultra Fast Fashion
Was ist Ultra Fast Fashion?
Ultra Fast Fashion ist, wie der Name schon vermuten lässt, eine Steigerung der bereits seit den Zweitausender Jahren existierenden Fast Fashion Unternehmen und beschreibt ein Geschäftsmodell, bei dem Kleidung möglichst schnell und basierend auf aktuellen (Mikro-)Trends entworfen und zu extrem niedrigen Preisen produziert und verkauft wird.
Ultra Fast Fashion Marken wie Shein oder Temu setzen statt stationärem Einzelhandel auf Onlineshops und die Werbung über Social Media Kanäle. Durch die fehlenden physischen Geschäfte sind die Kosten gering – da bleibt genug Kapital übrig, das sie in Marketingmaßnahmen investieren können.
Expert:innen unterscheiden mittlerweile zwischen der ersten Riege an Fast Fashion Unternehmen (beispielsweise H&M und Zara, die auch stationären Einzelhandel betreiben), der zweiten (Boohoo, Pretty Little Thing oder ASOS, die ihre Produkte über Websites vertreiben) und der dritten: Ultra Fast Fashion, die momentan vor allem von zwei chinesischen Riesenkonzernen geprägt ist: Shein und Temu, bei denen man üblicherweise über Apps kauft. Man erkennt die Entwicklung in Richtung Ultra Fast Fashion beispielsweise an den durchschnittlichen Preisen der Kleidungsstücke: Während der durchschnittliche Preis eines Kleidungsstücks bei Shein 16 Dollar beträgt, zahlt man beim Fast Fashion Konkurrenten Zara noch 48 Dollar.
Was macht die Konzerne besonders gefährlich?
Unabhängigkeit von stationärem Einzelhandel
Ultra Fast Fashion ist zu Hause in der digitalisierten Welt und macht sich durch den Fokus auf Onlinehandel unabhängig von Krisen wie der Corona-Pandemie: Während durch die wochenlange Schließung von Geschäften der Umsatz von H&M in 20020 um 88% im Vergleich zum Vorjahr sank, stieg der von Boohoo um ganze 45%. Aber Ultra Fast Fashion Gigant Shein setzt nochmal einen drauf: Das chinesische Unternehmen konnte seinen Umsatz im Jahr 2020 um mehr als 200% steigern; von 3,15 Mrd. USD in 2019 auf 9,81 Mrd. USD in 2020 (Zahlen: Statista, s. Abb.). Mit seinem rasanten Wachstum überholte Shein in 2024 sogar Zara und ist schon seit 2022 so viel wert wie H&M und Zara zusammen.
Neuartige Produktion durch die Insights von Nutzerdaten
Bei Temu und Shein kaufen Kund:innen ihre Kleidung per App und geben dadurch ihre Daten und ihr Kaufverhalten preis. Was die Nutzenden scheinbar nichts kostet, ermöglicht es den smarten Algorithmen der Ultra Fast Fashion Unternehmen, den Nutzenden genau das auszuspielen, was sie am ehesten kaufen würden und in Echtzeit auf Veränderungen in der Nachfrage einzugehen.
Tatsächlich produzieren die Unternehmen hochgeladene Artikel gar nicht oder nur in kleinen Mengen; so benötigen sie keine unnötige Lagerfläche. Bereits nach kurzer Zeit entscheiden sie basierend auf den Nutzungsdaten ihrer Kund:innen, von welchen Items sie mehr Stücke brauchen, die dann schnell produziert und ohne Zwischenlagerung direkt verschickt werden – das ganze nennt sich Dropshipping. Für die Produktion brauchen Marken wie Shein laut Guardian ungefähr zehn Tage und nur 6 % der Bestände bleiben länger als 90 Tage auf Lager. Dadurch werden teure Lagerkosten gespart – wieder Geld, was Shein in andere Maßnahmen stecken kann.
Damit die Ware möglichst schnell bei den Kund:innen ankommt und ihre Klimabilanz noch weiter ins Unermessliche steigt, greifen Ultra Fast Fashion Unternehmen oft auf Flugverkehr zurück: Weltweit nimmt Fast Fashion schon jetzt rund ein Drittel aller Langstrecken-Frachtflugzeuge in Anspruch. Und es zeichnet sich bereits jetzt ab, dass die chinesischen Ultra Fast Fashion Unternehmen anfangen, um weitere Frachtplätze zu kämpfen, damit sie der rasant steigenden Nachfrage gerecht werden können.
Kollektionen, wie man sie von klassischen Modeunternehmen und auch von Fast Fashion Marken kennt, gibt es bei Ultra Fast Fashion Marken in dem Sinne also gar nicht mehr, da sie nur noch auf einzelne Produkte setzen, die funktionieren. Durch diese neuen Möglichkeiten der Interaktion mit ihren Kund:innen in ihrer eigenen App und auf Social Media können die Ultra Fast Fashion Giganten viel schneller auf die ohnehin immer kürzeren Trendzyklen in der Mode eingehen und haben gegenüber herkömmlichen Fast Fashion Unternehmen einen erheblichen Vorteil.
Beeinflussbarkeit junger Konsument:innen
Die Dumpingpreise der Klamotten von Ultra Fast Fashion Marken und die schnelle Produktionszeit, die auf aktuelle Trends eingehen kann, führen dazu, dass sich besonders junge Konsument:innen von der Wegwerfware angezogen fühlen. Um die junge Zielgruppe anzusprechen, setzen Temu und Shein häufig auf Mikro-Influencer:innen, die auf TikTok und anderen Plattformen ihre "Hauls" teilen, also Videos, wo sie die bestellten Klamotten auspacken und ihren Follower:innen zeigen.
Die Konzerne nutzen Social Media übrigens nicht nur, um neue Trends zu setzen, sondern auch um sie überhaupt erst zu erkennen: Sie lassen smarte Algorithmen über Social Media laufen, die über verschiedene Mechanismen der Bilderkennung aktuelle Trendentwicklungen identifizieren und vorhersagen.
Die schiere Masse & schädliche Chemikalien
Die Masse der billig produzierten Textilien, die Ultra Fast Fashion Marken produzieren ist unvorstellbar. Täglich werden mehrere Tausend Produkte hochgeladen, von denen in einer ersten Charge meist nur ungefähr 50 bis 100 Stück produziert werden, bis nach erstem Verkaufserfolg mehr nachproduziert wird.
Die Pakete werden direkt aus dem jeweiligen Werk in 150 Länder auf der ganzen Welt verschifft. Dabei kann es auch mal vorkommen, dass eine Bestellung in mehreren kleineren Paketen ankommt, damit die Marge beim Konzern aufgrund ausbleibender Zollgebühren höher ausfällt. Dasselbe passiert rückwärts, wenn die Kleidung wieder kostenlos zurückgeschickt wird. Hinzu kommt, dass die meisten Retouren auf der Mülldeponie landen, weil es schließlich teurer wäre, sie wieder in Umlauf zu bringen.
Es gibt zudem bereits mehrere Untersuchungen, die auf ein erhöhtes Niveau an schädlichen Chemikalien hindeutet: Kinderbekleidung bei Shein weist das zwanzigfache der Menge an Blei auf, die für Kinder unbedenklich sei und auch andere Produkte von Shein liegen weit über Grenzwerten für chemische Stoffe. Diese Chemikalien tragen Konsument:innen dann direkt auf ihrer Haut und entsorgen sie vermutlich bereits nach wenigen Malen Tragen im Hausmüll – zu mehr ist die billige Wegwerfware meist nicht mehr gut genug – wo sie letztlich auf einer Deponie im Globalen Süden landet, Methan ausstößt und die Böden und Grundwasser mit Chemikalien belastet.
Was kann man gegen Ultra Fast Fashion tun?
Der Grund, warum es gegen Ultra Fast Fashion Unternehmen wie Shein oder Temu noch nicht genug weitreichenden Beschränkungen gibt, liegt vor allem am Unternehmensstandort China. Das deutsche Lieferkettengesetz etwa greift nicht, da dieses nur Unternehmen mit festem Sitz in Deutschland betrifft, die innerhalb Deutschlands mehr als 3.000 Mitarbeitende haben. Bei aktuellen EU-Gesetzen gegen Fast Fashion muss also unbedingt darauf geachtet werden, dass der Wirkungsbereich alle Unternehmen betrifft, die innerhalb der EU Handel betreiben wollen.
Auch als Verbraucher:innen sind wir nie machtlos. Man kann immer seinen eigenen Einfluss im Umfeld nutzen, um vor allem jüngeren ein Vorbild zu sein. Dazu gehört: Insgesamt weniger konsumieren, wenn, dann lieber Secondhand, auch auf alternative Kreislaufmodelle wie das Tauschen von Kleidung zurückgreifen und auch einfach über Ultra Fast Fashion sprechen.
Ausblick auf die Entwicklung von Ultra Fast Fashion
Leider sind die Entwicklungen von Ultra Fast Fashion vor allem bei Gen Z sehr bedenklich: In einer aktuellen Umfrage von BCG geben 46% der 18-29-jährigen an, schon mal Ultra Fast Fashion gekauft zu haben; weitere 20% derselben Altersgruppe interessieren sich prinzipiell dafür. Glücklicherweise zeigt die Studie auch, dass Deutschland im internationalen Vergleich das Land mit der geringsten Marktdurchdringung von Ultra Fast Fashion ist: Während in den USA 12% der Befragten Ultra Fast Fashion konsumieren, liegt der Anteil der Deutschen bei "nur" 4%. Das liegt auch unter dem europäischen Durchschnitt von 7%.
Außerdem konnten die Forschenden der BCG-Studie herausfinden: Je schlechter die Wirtschaftslage, desto höher die Affinität zu Ultra Fast Fashion. Leider sieht man immer mehr Pop Up Stores von Shein aufkeimen, zuletzt auch in Hamburg – vermutlich auch eine Strategie der chinesischen Marke, den europäischen Markt weiter zu durchdringen.
Auch wenn sich die vergleichsweise geringere deutsche Marktdurchdringung erstmal positiv anhört, sind die Zahlen der Pakete, die täglich in Deutschland ankommen, erschreckend: Temu und Shein verschicken geschätzt täglich 400.000 Pakete nach Deutschland. Das führt dazu, dass die Konzerne bereits jetzt um Frachtplätze kämpfen müssen.
Der deutsche Handelsverband sieht unter anderem die aktuelle Zollfreigrenze von 150€ pro Paket nach dem Weltpostvertrag als Sprungbrett für chinesische Ultra Fast Fashion, da durch sie auch die chinesischen Riesenunternehmen Pakete unter einem Warenwert von 150€ ohne Zollgebühren nach Deutschland einführen können. Es laufen aktuell Gespräche, die Zollgrenze wegfallen zu lassen; das könnte frühestens 2028 in Kraft treten. Die SPD forderte die EU-Kommission sogar auf, diese Veränderung bereits bis 2025 umzusetzen. Bei einer nur verminderten Zollgrenze wäre es leider vorstellbar, dass Ultra Fast Fashion Unternehmen ihre Bestellungen dann einfach in mehrere kleine Pakete aufteilen, um Zölle zu vermeiden und ihre Emissionen noch weiter zu steigern.
Wir könnten diesen Artikel vermutlich unendlich weiter ausbauen auf alle möglichen Risiken und Zukunftsszenarien über Ultra Fast Fashion, aber wollen es erstmal dabei belassen. Lasst uns gerne wissen, wenn ihr konkrete Fragen habt oder euch wünscht, dass wir nochmal speziell auf einzelne Punkte eingehen. Es liegt uns sehr am Herzen, vor allem bei der jüngeren Generation unseren Bildungsauftrag zu erfüllen und dazu beizutragen, über die Auswirkungen von (Ultra) Fast Fashion aufzuklären. Darum halten wir auch regelmäßig Vorträge über Fast Fashion an Schulen. Wenn dich das Thema interessiert, kuck doch mal hier vorbei: Unser neues soziales Projekt: Fight Fast Fashion an Schulen
Quellen
https://www.bcg.com/press/5july2024-ultra-fast-fashion-etabliert-sich-in-deutschland
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1373080/umfrage/shein-umsatz-weltweit/
https://www.shopify.com/de/blog/was-ist-dropshipping
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/temu-shopping-billigprodukte-100.html