Fashion Revolution Week: Gespräche über die Zukunft von (Fast) Fashion
Altkleider
Klima
Impact
Kreislaufwirtschaft
Hannah
24.04.2024
Zur Fashion Revolution Week, die jedes Jahr an den Einsturz der Rana-Plaza-Textilfabrik in Bangladesh erinnert und zu positiver Veränderung in der Modeindustrie aufruft, wollten wir gerne drei Frauen zu Wort kommen lassen, die – alle aus verschiedenen Perspektiven – auf die Entwicklungen der Modeindustrie blicken. Wir sprechen mit Mirjam Smend, Viola Wohlgemuth und Constanze Klotz, Dr. phil.
Heute vor elf Jahren ist die Rana-Plaza-Textilfabrik bei Dhaka, Bangladesh, aufgrund mangelnder Sicherheitsvorkehrungen eingestürzt. Es sind mehr als 1.100 Textilarbeiter:innen umgekommen, die für Fast-Fashion-Unternehmen nähten. Ein Weckruf, der seit 2013 jährlich zur Fashion Revolution Week animiert. Nicht nur heute, sondern jeden Tag, sind Gespräche über Fast Fashion wichtig und richtig!
Wir bei recyclehero sprechen natürlich prinzipiell viel über Fast Fashion, denn wir setzen uns für lokale Textilkreisläufe ein und möchten Menschen durch unsere Kommunikation über den Wert von Ressourcen aufzuklären. Am häufigsten sprechen wir wohl über die Unmengen an billiger Wegwerfware, die produziert werden, nur um wenige Male getragen und schnell entsorgt zu werden und dann Menschen und Umwelt im Globalen Süden zu belasten. Wir setzen uns dafür ein, den Lebenszyklus von Kleidung zu verlängern und dem System Fast Fashion den Kampf anzusagen.
Heute wollen wir aber die Gelegenheiten der Fashion Revolution Week nutzen, um drei inspirierende Frauen zu Wort kommen zu lassen, die sich – ob durch Journalismus, Politik, in NGOs oder durch ihr eigenes Modelabel – leidenschaftlich für fairere Arbeitsbedingungen, härtere Gesetzgebung und ein Umdenken in der Gesellschaft einsetzen.
Unsere Interviewpartnerinnen zur Fashion Revolution Week
May we present: unsere drei Interviewpartnerinnen zu Fragen über Fast Fashion und die damit verbundenen Probleme in der Modeindustrie:
Mirjam Smend ist die Gründerin von GREENSTYLE, der ersten Fair Fashion Konferenz für Konsument:innen, Fachbesucher:innen und Medien. GREENSTYLE führt auch ein Markenregister mit nachhaltigen und fairen Marken und hat das zugehörige Fair Fashion Magazin Pureviu. Mirjam ist außerdem freie Autorin, Moderatorin und Fashion Revolution Ambassador in München, wo sie zahlreiche Events organisiert und sich auf verschiedenen Ebenen für faire Mode einsetzt.
Constanze Klotz, Dr. phil., ist die Co-Founderin des Hamburger Upcycling Labels Bridge&Tunnel. Mit Bridge&Tunnel setzt sich Constanze gemeinsam mit Co-Founderin Charlotte Erhorn dafür ein, dass Upcycling als textiles Produktionsverfahren einsetzbar und skalierbar ist. Dafür arbeitet sie mit Partnerunternehmen, die sich aus Textilresten oder Produktionsüberhängen ansprechende Designs entwickeln lassen. Faire Arbeitsbedingungen spielen bei Bridge&Tunnel eine zentrale Rolle, denn die Gründerinnen wollen gesellschaftlich benachteiligte Menschen in ihren Talenten professionalisieren und gleichzeitig auf die mangelnde Wertschätzung von Textilarbeiter:innen aufmerksam machen.
Mehr über Constanzes Arbeit für Bridge&Tunnel und ihre Haltung zu Upcycling könnt ihr hier kennenlernen: Wir sprechen über Upcycling mit Bridge&Tunnel
Viola Wohlgemuth, unsere dritte Interviewpartnerin, ist Expertin für Kreislaufwirtschaft, Textil- und Plastikmüll. Viele werden sie wohl von ihrer ehemaligen Arbeit bei Greenpeace kennen, wo Viola bis vor kurzem sechs Jahre lang als Campaignerin für Überkonsum, Kreislaufwirtschaft und Textilien gearbeitet hat. Im Rahmen ihrer Arbeit bei Greenpeace ist Viola auch nach Ghana gereist, eines der Hauptimportländer für getragene Kleidung aus dem Globalen Norden, und hat sich vor Ort mit dem Problem befasst – etwas, das wohl alle von uns einmal tun sollten, um die konkreten Auswirkungen von Fast Fashion zu spüren.
Gespräche über die Zukunft von (Fast) Fashion mit Mirjam, Constanze und Viola
Was ist heute deiner Meinung nach das drängendste Problem in der Modeindustrie?
Mirjam: Neben sozialen Missständen in der textilen Wertschöpfungskette und der immer stärker abnehmenden Qualität in Richtung (nicht abbaubarer!) Kunstfaser ist es meiner Meinung nach die Überproduktion, die den größten Schaden anrichtet. Statt immer weniger und besser entwickelt sich unser Konsum genau in die umgekehrte Richtung. Aus Fast Fashion wurde Ultra Fast Fashion. Allein in den Jahren von 2000 bis 2016 hat sich die Zahl der jährlich produzierten Kleidungsstücke verdoppelt und liegt (Stand 2021) bei 100 Milliarden Stück jährlich. Tendenz steigend: Bis 2030 wird eine weitere Verdoppelung dieser Zahl erwartet. Das Ergebnis: Jede Sekunde wird eine Lastwagenladung Altkleider auf eine Deponie gekippt oder verbrannt. Statt immer neue Ressourcen zu verschwenden sollten wir Lösungen suchen, wie wir Altkleider als sinnvolle Ressource für „Neuware“ nutzen können.
Constanze: Die Mode- und Textilindustrie hat so viele Probleme, die Kombination aus gigantischer Quantität und schlechter Qualität ist aus meiner Sicht - neben Menschenrechtsverletzungen - aber das größte Problem. Durch Fast Fashion von großen Bekleidungsketten gelangen jede Saison gigantische Mengen von Kleidung in hohem Tempo auf den Weltmarkt. Überproduzierte und unverkaufte Artikel werden als Plastikmüll nach Afrika oder Südamerika verschifft. Ganze Landstriche verschwinden unter Deponien mit synthetischem Textilmüll, der auch Flüsse und Meere verschmutzt. Auf der Produktionsseite müssen Textilarbeiter:innen in immer kürzeren Abständen unter oftmals menschenunwürdigen Bedingungen die kurzen Produktionszyklen erfüllen.
Viola: Die immer größer werdenden Massen an unregulierten, nicht recyclefähigen Textilien aus fossilen Mischfasern. Kreislauffähigkeit wird für immer ein Mythos in der Textilindustrie bleiben, wenn es keine verbindlichen Regeln für die Zusammensetzung und Recyclingfähigkeit an Textilien gibt – sowie die transparente Kennzeichnung der Zusammensetzung wie durch einen digitalen Produktpass.
Wie blickst du auf die Entwicklung der Modeindustrie, v.a. vor dem Hintergrund von (Ultra) Fast Fashion?
Mirjam: Obwohl wir die negativen Auswirkungen der Modeindustrie kennen, konsumieren wir immer mehr. Wir shoppen wenn es uns gut geht, wenn es uns schlecht geht und wenn uns langweilig ist. Shoppen ist ein Hobby geworden. Angekurbelt durch die sozialen Medien und immer schneller wechselnden Trends sind wir ständig auf der Suche nach neuem. Das Kleidungsstück von heute ist morgen schon alt und wird entsorgt. Immer schneller, immer mehr, immer billiger. Wer hätte gedacht, dass sich das System fast Fashion noch beschleunigen lässt. Kleidung wird zur Wegwerfware.
Constanze: Um der Wegwerfkultur und der mangelnden Wertschätzung von Textilarbeiter:innen entgegenzuwirken, brauchen wir ein Umdenken im Konsumverhalten: weg von mangelnder Qualität und Quantität hin zu Qualität, Langlebigkeit und Nachhaltigkeit. Wie schaffen wir mehr Wertschätzung für Kleidung bei Konsument:innen? Wie erzeugen wir mehr Verantwortung für Kleidung bei Unternehmen? Und am Allerwichtigsten: Wie bekommen wir die Geschwindigkeit aus der Mode?
Viola: Ich blicke mit Sorge auf die Auswüchse der Ultra-Fast-Fashion – eines linearen, fossilen Geschäftsmodells. Die politischen Erfolge gegen Fast Fashion und das wachsende Bewusstsein für die Umweltauswirkungen der Textilindustrie scheinen durch Ultra-Fast-Fashion einfach aufgefressen zu werden. Schon jetzt beherrscht SHEIN nach so kurzer Zeit ca. 20% des Fast-Fashion-Marktes – jeden Tag 5000-7000 neue Design an Plastik-Klamotten, das ist einfach eine ökologische Zeitbombe.
Wie empfindest du die aktuellen Veränderungen in der EU-Gesetzgebung in Bezug auf Fast Fashion?
Mirjam: Ich bin froh, dass die Auswirkungen der Textilindustrie inzwischen auf der politischen Agenda sind. Als ich mit dem Thema angefangen habe, wurden wir nicht ernst genommen. Unter dem Motto „Mode ist doch Mädchenkram“ wurden die massiven Umweltschäden, die Auswirkungen auf das Klima von denen wir gesprochen haben, unter den Teppich gekehrt. Nun beginnt man strategisch mit entsprechenden Gesetzgebungen gegen Greenwashing (Green Claims) vorzugehen, Transparenz in den Lieferkette zu fordern. Frankreich geht sogar soweit Strafen für Ultra Fast Fashion und Werbeverbot zu verlangen. Endlich.
Constanze: Leider passiert auf EU-Ebene noch zu wenig und viel zu langsam, aber immerhin: Es tut sich was. Das Lieferkettengesetz ist ein erster Erfolg. Die Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien, die die Europäische Kommission am 30. März 2022 veröffentlicht hat, lässt auch hoffen, denn bis 2030 sollen Textilerzeugnisse auf dem EU-Markt langlebig und recyclingfähig sein. Am 05.12.2023 wurde die neue Ökodesign-Verordnung veröffentlicht, die Umsetzung soll noch dieses Quartal erfolgen. Größere Händler:innen dürfen unverkaufte oder retournierte Kleidung demnach in der EU künftig nicht mehr vernichten. Ein echtes Momentum, was auf das Problem der Überproduktion und Wegwerfmentalität einzahlt.
Viola: Es herrscht eine nie dagewesene Aufbruchsstimmung in der Politik. Von der Ökodesign-Verordnung mit dem Verbot, Neuwaren und Retouren zu vernichten, über das Gesetz gegen Greenwashing oder die EU-Textil Strategie und EPR (Erweiterte Herstellerverantwortung) mit dem wirksamen Tool des Digiateln Produktpasses und den Einsatzquoten an Recyclatfasern. Es ist vieles möglich jetzt, wir müssen aber gegen den starken Lobby Druck der Modeindustrie aufstehen, damit die Gesetzesvorhaben auch wirksam werden und nicht ausgehöhlt werden.
Wie du siehst, gibt es auf unserem Blog bereits einige Artikel zu aktuellen EU-Gesetzen gegen Fast Fashion. Wenn dich das Thema Gesetzgebung im Bezug auf Fast Fashion interessiert, empfehlen wir dir diesen Sammelartikel: Mit diesen neuen Gesetzen greift die EU jetzt gegen Fast Fashion durch
Wie trägst du mit deiner Arbeit zu einem positiven Wandel in der Modeindustrie bei?
Mirjam: Ich habe 2016 meinen Job bei einer großen Modezeitschrift an den Nagel gehängt und mich dem Thema nachhaltige Mode gewidmet. Mit meiner Communication und Community Plattform GREENSTYLE arbeiten wir daran, das Thema sichtbarer zu machen. Mit Messen, Events, Konferenzen für nachhaltige Modelabels und mit dem Fashion Change Magazin PUREVIU und unserer Agentur.
Constanze: Seit vielen Jahren setzen wir mit unserer Textilmanufaktur Bridge&Tunnel erfolgreich Upcycling um, um Textilien so länger im Kreislauf zu halten. Das tun wir sowohl mit unserem eigenen Label, als auch für viele Unternehmen, deren Textilreste wir verlängern. Dazu gehören Restanten, Samples, fehlproduzierte Produkte oder Planen/Werbematerialien. So werden aus Werbebannern Laptopsleeves, aus Samples Reisetaschen, aus Sweatern Shopper oder aus Arbeitsklamotten fancy Hipbags. Mit Re.Vive bieten wir seit kurzem auch die Um- und Aufarbeitung von Neu- und Retourenwaren für Unternehmen an (B2B2C). Langfristiges Ziel ist es, lokale Arbeitsplätzen für Menschen mit geringer Arbeitsmarktperspektive zu schaffen und Lösungen gegen eine massenhafteTextilvernichtung zu finden.
Viola: Als Aktivistin und Expertin zur Textilwende arbeite ich seit Jahren mit internationalen Investitionen und Recherchen gegen die Missstände der Textilindustrie. Von der giftigen Produktion in Südostasien bis zu den Textil-Müllbergen in Afrika – wir müssen die Fakten und Zahlen haben um sie der Politik in Berlin und Brüssel vorzulegen und gegen den Lobbydruck und Falschinformationen der Modeindustrie anzugehen. Mit den Lösungen für alternative Geschäftsmodelle von so vielen tollen Start Ups und Verbänden in Deutschland bis Ghana, einer Vision für eine nachhaltige und kreialuffähige Textilindustrie innerhalb der Grenzen unseres Planeten und den Fakten im Gepäck bin ich in Berlin und Brüssel bei der Politik oder in den Medien unterwegs, um für einen echten Wandel der Textilindustrie zu kämpfen. Das geht nur mit klaren Rahmengesetzgebungen wie einem starken Lieferkettengesetzt und einer wirksamen EPR (Erweiterten Herstellerverantwortung für Textilien).
Danke, liebe Viola, Constanze und Mirjam für das Interview!
Wir bei recyclehero setzen uns natürlich auch weiter leidenschaftlich für mehr Wandel in der Modeindustrie ein! Durch die kostenlose Abgabe von Altkleidern in ganz Deutschland machen wir die Teilnahme an der Kreislaufwirtschaft für Privatpersonen aber auch für Unternehmen so einfach und zugänglich wie möglich. Indem wir Ressourcen wieder zurück in lokale Kreisläufe bringen, schonen wir die Umwelt und verringern Neuproduktion. Wenn du gerne mehr über uns erfahren möchtest, kuck doch mal vorbei: